Die Bedeutung der Chemotherapie
Die Chemotherapie hat seit 2006 bei der Behandlung des Magenkarzinoms deutlich an Bedeutung gewonnen. Schon zuvor hatte die Chemotherapie einen festen Platz bei der Behandlung von fortgeschrittenen, metastasierten und nicht mehr operablen Magenkarzinomen, um Beschwerden zu lindern oder Lebenszeit zu gewinnen.
Durch die große Studie von Cunningham und Mitarbeitern (sog. MAGIC-Studie, N Engl J Med 355:11, July 6, 2006) konnte gezeigt werden, dass eine der Operation vor- und nachgeschaltete Chemotherapie auch bei primär operablen Magenkarzinomen einen deutlichen Zugewinn an Langzeitüberlebenden nach 5 Jahren (+13%) erzielt. Teilweise werden auch primär nicht operable Tumoren nach einer Chemotherapie komplett entfernbar. Dabei gelten die Ergebnisse sowohl für eigentliche Magenkarzinome als auch für Karzinome des Überganges zwischen Magen und Speiseröhre (wenn es sich ebenfalls um Adenokarzinome handelt).
Eine prä- und in der Regel auch postoperative Chemotherapie ist daher heute Standard ab einem bestimmten Tumorstadium (welches präoperativ per endoskopischem Ultraschall bestimmt wird: uT >2, im Einzelfall auch uT=2, oder/und N positiv, M0, siehe unter „Pathologie“). Es werden dann zunächst 3 Zyklen (bzw. bis zu 3 Monaten) einer Chemotherapie gegeben und dann operiert. Nach Erholung von der Operation wird die Chemotherapie mit 3 weiteren Kursen fortgesetzt.
In der aus England stammenden Untersuchung von Cunningham wurde das ECF-Schema (Epirubicin, Cisplatin und 5-Fluorouracil) verwendet. Die 5-FU-Gabe erfolgt dabei als Dauerinfusion über eine tragbare Pumpe während mehrerer Wochen. In Deutschland ist dieses Schema daher nicht so gebräuchlich. Oft wird hier das PLF-Schema nach Wilke (Cisplatin, Leukovorin und 5-Fluorouracil) verwendet, welches relativ gut verträglich, einfacher applizierbar und ähnlich wirksam ist.
In einer neueren Studie (REAL-2 Studie, N Engl J Med 358:36, January 3, 2008,) wurden – allerdings bei Patienten in palliativer Behandlungssituation, bei denen die komplette operative Entfernung des Tumors von vornherein nicht das Ziel war- verschiedene modernere Chemotherapieprotokolle mit dem „Standard“ ECF verglichen und es zeigte sich, dass sowohl 5-Fluorouracil durch Capecitabine-Tabletten als auch Cisplatin durch das Nebenwirkungs-ärmere Oxaliplatin ersetzt werden kann. Neben dem oben erwähnten ECF-Schema sind also auch ECX (Epirubicin, Cisplatin und Capecitabine (XelodaR)) und EOX (Epirubicin, Oxaliplatin und Capecitabine) einsetzbar. Allerdings ist Oxaliplatin in Deutschland nicht für die Behandlung von Magenkrebs zugelassen.
Insgesamt stehen also verschiedene perioperative Behandlungsregime zur Primärbehandlung mit kurativem Ansatz zur Verfügung. Welches Protokoll zur Anwendung kommt hängt wesentlich von der Erfahrung des einzelnen Behandlungszentrums und vom Nebenwirkungsprofil und den Begleiterkrankungen des einzelnen Patienten ab.
Bei fortgeschrittenen, metastasierten Magenkarzinomen werden neben den oben aufgeführten Schemata zunehmend auch Taxan-haltige Kombinationen wie DCF (Docetaxel, Cisplatin und Fluorouracil) verwendet. Hier beobachtet man allerdings höhere Nebenwirkungsraten, was die Anwendung bei älteren Patienten oder Patienten mit Begleiterkrankungen einschränkt. Das FLOT-Protokoll (Fluorouracil, Leukovorin, Oxaliplatin und Docetaxel) stellt eine etwas
Nebenwirkungs-ärmere Version dar.
Der Wert einer alleinigen adjuvanten Chemotherapie, also Chemotherapie zusätzlich, nach einer Op. mit kompletter Entfernung des Tumors, ist im Gegensatz zum obigen Konzept nicht gesichert und wahrscheinlich nur sehr gering (unter 4% verbesserte Heilungschance).
Eine nach der Operation durchgeführte kombinierte Strahlen-/ und Chemotherapie ist nur in US-amerikanischen Untersuchungen in ihrer Effektivität belegt. Die Daten sind aber nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar, da in den USA weniger ausgedehnte Lymphknotenentfernungen durchgeführt werden (D1-Resektion). In Deutschland werden in der Regel D2-Resektionen durchgeführt, so dass eine zusätzliche Strahlen-/Chemotherapie nicht notwendig ist.
Neben der klassischen Chemotherapie, die auf dem Prinzip der Hemmung der Zellteilung der Tumorzellen und einem Regenerationsvorteil des Normalgewebes beruht, kommen auch beim Magenkrebs zunehmend sogenannte zielgerichtete Therapien wie Antikörper und kleine Moleküle zum Einsatz. Diese können relativ gezielt die Informationsübertragungswege der Tumorzellen angreifen und so z. B. die Gefäßversorgung des Tumors stören oder Wachstumssignale an den Tumorzellen blockieren.
Während Hemmstoffe der Gefäßneubildung (VEGF-Antikörper wie Bevacizumab) oder Hemmstoffe der Zellwachstumssignalkette (EGF-Rezeptor-Antikörper wie Cetuximab oder Panitumomab) bei anderen Tumorarten bereits lange klinische Routine sind, werden diese Substanzen bei Magenkrebs noch im Rahmen von Studien auf Ihren Nutzen überprüft.
Viele Zentren beteiligen sich an den Studien der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft und haben sich in der Arbeitsgemeinschaft Ösophagus-/Magenkarzinom zusammengeschlossen, um diese Studien durchzuführen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei Patienten, bei denen ein etwas fortgeschritteneres Magenkarzinom vorliegt (uT>=2) vor- und nach der Operation eine Chemotherapie Standard ist, auch wenn es primär operieret werden könnte. Bei metastasierten Magenkarzinomen ist durch verschiedene Chemotherapieregime häufig eine Linderung und ein Gewinn von Lebenszeit bei guter Lebensqualität möglich.
Verfasser:
Dr. med. Volker Hagen
Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin, Oberarzt St.-Johannes-Hospital Med. Klinik II, Dortmund